Fortwährende Bemühungen zur Optimierung der prä- und inhospitalen Abläufe haben zu einer steten Reduktion der Ischämiezeit beim ST-Hebungsinfarkt geführt. Die ambitionierte Vorgabe der ESC von 60 Minuten Verzögerung bis zur PPCI ab dem ersten medizinischen Kontakt bei früher Präsentation ist jedoch nicht ausreichend evidenzbasiert und daher mehr als ein anzustrebendes Ziel und nicht als Entscheidungslimit anzusehen. Ebenso ist eine D2B-Zeit von > 60-90 Minuten nachteilig und zu vermeiden. Eine PCI-bezogene Therapieverzögerung von 80-120 Minuten ist dagegen entsprechend der Datenlage realistisch und akzeptabel. Ungeachtet dessen gilt es jedoch den Zeitverlust weiter zu reduzieren, denn auch in der Ära der PPCI gilt: „Zeit ist Muskel!".
Entscheidend für den Verlauf nach einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI) ist eine rasche Reperfusion. Sowohl die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) als auch die amerikanischen Gesellschaften (AHA - American Heart Association/ACC - American College of Cardiology) empfehlen in ihren Richtlinien die Primär-PCI (PPCI; Primär Perkutane Koronarintervention) als bevorzugte Reperfusionsstrategie, falls diese ausreichend schnell und durch ein entsprechend erfahrenes Team ermöglicht werden kann. Während AHA und ACC eine Fibrinolyse vorziehen, falls die PPCI nicht innerhalb von 90-120 Minuten nach dem ersten medizinischen Kontakt (FMC - First Medical Care) möglich ist, ist das von der ESC empfohlene Zeitfenster zur PPCI mit 60-90 Minuten deutlich kürzer. Wie schnell müssen wir nun tatsächlich sein?
Erste Stunden ausschlaggebend
Bereits vor über 30 Jahren wurde nachgewiesen, dass das Ausmaß an potenziell regenerierbarem Myokard mit der Dauer der Ischämie nicht linear, sondern exponenziell mit einem steilen Abfall in den ersten drei Stunden abnimmt (siehe Abbildung). Passend hierzu auch die Beobachtung, dass die Thrombolyse die Mortalität in den ersten beiden Stunden nach Schmerzbeginn um 44 Prozent und nach zwei bis sechs Stunden nur mehr um 20 Prozent senkt. Darüber hinaus ist die Lyse bei langer Ischämiedauer mit einem neuerlichen Mortalitätsanstieg verbunden. Obwohl der Therapieerfolg der Reperfusion mittels PPCI nicht so zeitabhängig scheint, imponiert der Vorteil einer Reperfusion mittels PPCI bei zunehmender Ischämiezeit weniger eindrucksvoll. Basierend auf diesen Beobachtungen wird eine möglichst schnelle Reperfusion gefordert.
Daten aus der Frühphase der PPCI in den USA ließen jedoch vermuten, dass keine Korrelation der Gesamtischämiezeit mit der Mortalität besteht. Demgegenüber ist bereits damals eine erhöhte Mortalität für Patienten mit verlängerter Door- to-Balloon (D2B)-Zeit von > 120 Minuten beschrieben worden. Die Landmarkstudie von Terkelsen erweiterte diese Beobachtung und zeigte, dass einerseits die gesamte systembedingte Therapieverzögerung vom FMC bis zur PPCI und andererseits auch deren einzelne Komponenten, die Transferzeit und die D2B-Zeit, jeweils signifikant mit der Langzeitmortalität verbunden waren (10-14 % Risikozunahme pro Stunde Therapieverzögerung).
Ergänzend konnte eine kleinere Beobachtungsstudie zeigen, dass pro 30-Minute-Zunahme der Ischämiezeit die Ein-Jahres-Mortalität um 7,5 Prozent ansteigt. Die einzige randomisierte Evidenz zur Therapieverzögerung stammt von Studien, welche die prähospitale mit der intrahospitalen Fibrinolyse verglichen haben. Diese Studien zeigten einen Überlebensvorteil von 15 bis 21 zusätzlich geretteten Leben pro 1.000 Patienten mit prähospitaler Lyse. Eine vergleichbare Studie zu frühe versus späte PCI wäre ethisch nicht vertretbar. Die aktuellen Empfehlungen zum Zeitmanagement stützen sich daher primär auf Beobachtungsstudien.
Weitere Evidenz zum Zeitmanagement
Die ESC empfiehlt 90 Minuten als anzustrebende systembedingte Therapieverzögerung vom FMC bis zur PCI, wobei bei Hochrisikopatienten (großer Vorderwandinfarkt) und Patienten, die sich innerhalb der ersten Stunde nach Schmerzbeginn präsentieren, das Ziel für die zeitgerechte Reperfusion mit PPCI auf 60 Minuten reduziert wird. Die rezenten Empfehlungen der AHA und ACC sehen die PPCI als bevorzugte Reperfusionsstrategie an, falls diese innerhalb von 90 Minuten bzw. 120 Minuten bei Sekundärtransfer möglich ist. Die ESC beruft sich bei der stringenten Formulierung in ihren Richtlinien auf eine Subgruppe der CAPTIM-Studie. Diese zeigte für die Patienten mit kurzem Schmerzdelay, dass die Randomisierung zur Fibrinolyse mit einer geringeren Mortalität als die PPCI assoziiert war. Allerdings lag das Intervall zwischen FMC und PPCI in dieser Studie bei zirka 100 Minuten.
Weiters wurde eine Analyse aus dem großen amerikanischen Infarktregister, welche einen Mortalitäts- benefit für die PPCI bis zu einer Verzögerung von 114 Minuten zwischen einer möglichen Lyse und der PPCI zeigte, herangezogen. Abhängig von der Risikokonstellation (Alter, Vorder- versus Hinterwandinfarkt) und ein Delay < zwei Stunden vorausgesetzt, lag die PCI-bezogene Verzögerung mit äquivalenter Mortalität bei nur 60 Minuten. Einschränkend bestand in dieser Kohorte jedoch ein relevantes Ungleichgewicht zwischen langer D2B-Zeit von im Median 119 Minuten und einem sehr kurzen Delay zur Lyse (92 % door- to-needle time S 40 Minuten).
Direkte Schlussfolgerungen basierend auf diesen Subanalysen sind daher sehr kritisch zu betrachten und werten die auf detaillierteren Daten basierende Metaanalyse von
Boersma auf. Diese zeigte unter Berücksichtigung der CAPTIM-Studie letztlich einen Vorteil für die PPCI bis zu einer PCI-bezogenen Verzögerung von 80-120 Minuten. Auch die rezente STREAM-Studie konnte nicht beweisen, ob Patienten mit kurzer Ischämiezeit mehr von der prähospitalen Lyse oder einer optimierten Triage zum PCI-Zentrum profitieren.
Ziel muss daher sein, die Therapieverzögerung in unseren Netzwerken unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten und unabhängig von der Reperfusionsstrategie zu reduzieren.
Quelle: Ärztewoche